Aus Sich einer Alleinreisenden

Die Idee zu einem eigenen Buch kam mir im Sommer 2015, als ich mit meinem 18 Kilogramm schweren Gregor (nach der Marke meines Backpackers Gregory benannt) von Wien aus auf den Weg nach Los Angeles machte. Den Sommer über wollte ich die Westküste Amerikas, die eine oder andere Insel von Hawaii und noch etwas von dem südwestlichsten Eck Kanadas, Vancouver Island und die Rocky Mountains bereisen. Nur ich. Und mein Rucksack. Es war mir zwar bewusst, dass ich diese Reise machen musste. Für mich. Für mein Seelenwohl. Dass ich dann aber so unglaublich viel erleben werde, konnte ich selbst auf dem Heimweg noch nicht glauben. Diese Reise hat mich verändert. Wie sehr, konnte ich erst ein paar Jahre später feststellen.

„Aus Sicht einer Alleinreisenden“ kann Vieles bedeuten! Für mich war es die Erfahrung, als junge Frau ganz alleine unterwegs zu sein. In einem fremden Land. Auf einem fremden Kontinent. Und ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich der Nacht des Abfluges bei meinem Onkel in Wien auf der Couch lag, versuchte noch ein paar Stunden zu schlafen, aber kein Auge zumachen konnte. Ich war nervös. Unglaublich nervös. Dabei war es doch nicht das erste Mal, dass ich mich auf den Weg machte in das Unbekannte. Aber so ganz alleine, für mehrere Wochen. Etwas Bargeld hatte ich schon dabei. Als Backup Mamas Kreditkarte. Die Flüge waren alle gebucht, das Hostel für die erste Nacht in Hollywood auch. Also was soll schon schief gehen? Versuchte ich mir einzureden um nicht komplett die Nerven zu verlieren. Ich würde es machen. Ich würde es schaffen. Und weil ich nicht den Hut drauf gehaut hab, buchte ich mir noch am Flughafen vor dem Boarding das Upgrade in die First Class. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Ich möchte von meinen USA und Kanada Erlebnissen nicht zu viel vorwegnehmen – denn schließlich soll ja auch irgendwann ein Buch mit Geschichten gefüllt werden. Aber eine, eine kleine, eine kleine feine Geschichte. Ein sehr prägendes Erlebnis aus San Francisco. Ja das möchte ich heute mit der Welt teilen. Nicht zuletzt, weil ich im Alltag der letzten Jahre – und vor allem in der Zeit des Mama Werdens und Seins – eine Seite von mir ganz besonders vermisst habe. Die Caro, die ohne viel Nachdenken sich einfach in ein Abenteuer stürzt. Gut, Abenteuer habe ich schon auch viele erlebt, so ist es nicht. Aber eines jener Abenteuer wo man am Ende sagt: „Puh hab‘ ich noch mal Glück gehabt!“ ODER „Wenn meine Mama davon erfährt, lässt sie mich nie, NIE NIE NIE NIE wieder irgendwo hinfahren/hinfliegen!“ (Mit mindestens 10 Ausrufezeichen!)

San Francisco hat mich wirklich beeindruckt. Die Stadt ist wirklich der Hammer! Man kann gut feiern, essen gehen, für Sightseeing gibt es auch genug. Teuer ist es, aber was ist schon nicht teuer in den USA. Wusstet ihr, dass nördlich von San Francisco ein Nature Reserve liegt, welches absolut nicht vermuten lässt, dass eine Großstadt ziemlich nahe ist? Nein! Ich wusste es damals auch nicht. Als ich davon erfuhr, wollte ich dort hin. Ein bisschen recherchiert hatte, fand heraus, dass es dort auch ein Hostel gibt. Cool! Erreichbar mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Gleich null. Taxi? VIEL zu teuer! Also musste eine andere Lösung her.

Nach ein paar Tagen Party in the City musste ich einfach raus. Zu viel war passiert. Ihr könnt euch an dieser Stelle jetzt gerne denken was ihr wollt (mehr Details dazu dann in meinem Buch 😉). Und ja, auch auf Reisen hatte ich ab und an das Bedürfnis, einfach schnell „weg“ zu müssen. Zeit spielte ja keine Rolle, die hatte ich ja qausi en masse. Ich suchte mir die nächste Fährenverbindung raus, schätzte Daumen mal Pi die Distanz vom Hafen bis zum Hostel ab und machte mich auf den Weg. Dass ich einen ganzen Tag unterwegs sein würde, war mir zwar bewusst, aber irgendwie war meine Vorbereitung auf diesen Ganztages-Hike eher mäßig. Würde jemand so bei uns in den Bergen unterwegs sein, wir würden sagen: „Sog moi, best deppad oda was?!“….

Wie viele Stunden ich schon unterwegs bin, weiß ich nicht. Mein Handy hat schon seit einiger Zeit keinen Akku mehr. Auch egal, denn hier draußen habe ich sowieso keinen Empfang. Das hatte ich ja mehrmals versucht. Ohne Erfolg. Der Schweiß auf meiner Stirn hat sich zu einer klebrigen Masse gebildet. Eklig. Richtig grausig! Karte habe ich keine. Also nicht wirklich. Nur die, die im Lonely Planet Reiseführer war. Diese kleine, blaue Karte. Die Straßen von San Francisco, tip top eingezeichnet. Der Weg zum Hostel auf den Marine Headlands – ein brauner Strich. Und dabei gibt es hier einfach mal zig Wanderwege. Fuck! Wo zum Geier bin ich?

Ich setzte mich auf den trockenen, fast sandartigen Boden. Eine schlechte Idee. So schnell werde ich nicht mehr hochkommen, denke ich. Gregors Gewicht lastet auf meiner Hüfte. Aua! Aber eine Pause muss sein. Ich muss mich sammeln. Kurz verschnaufen. Trinken. Gut, dass ich nicht wirklich daran gedacht habe, dass es verdammt heiß sein wird. Mein Wasservorrat neigt sich dem Ende zu. Zum Essen habe ich nur noch Instant Nudeln und ein Glas Sugo mit. Mein Abendessen für heute. Wenn ich es denn überhaupt zum Hostel schaffe. Wenn ich es denn überhaupt finde.

Ich sammle mich. Versuche wieder aufzustehen. Geschafft! Aber lange halte ich das nicht mehr aus. Körperlich. Und nervlich langsam auch nicht. In der Nacht wird es hier schon ziemlich frisch. Und für eine Nacht im Freien habe ich nichts eingepackt. Ich habe wirklich alles mit. Nur kein Zelt, oder einen Campingkocher. Aja, und eine Kerze habe ich auch nicht mit. Fuck! Ich will jetzt sofort zu diesem verfluchten Hostel! Es hilft nicht. Ich muss irgendwie auf eine Straße kommen, denke ich. Ein Auto aufhalten. Hilfe suchen. Umkehren ist keine Option. Ich wüsste nicht, welchen Weg ich nehmen sollte um mich nicht noch mehr zu verirren. Eine gefühlte Ewigkeit später: endlich. Eine Straße. Aber kein Auto. Kein Auto weit und breit. Die Abenddämmerung setzt langsam ein. Und während ich der Straße folge, nicht wissend, wo sie hinführt, bin ich mit meinen Gedanken bei meiner Familie. Was ist, wenn ich sie nicht mehr wieder sehe? Was ist, wenn ich jetzt hier im Wald meine letzten Augenblicke erlebe. Da geht einem schon ziemlich viel durch den Kopf, wenn man überanstrengt und dehydriert ist.

In der Ferne sehe ich eine Siedlung! Jawohl. Da muss ich hin. Ich nehme meine letzten Kraftreserven zusammen und starte optimistisch den Hügel hinauf. Keuchend oben angekommen, klingle ich beim ersten Haus. Niemand zu Hause. Gut, weiter zum nächsten. Auch hier wieder. Erfolglos. Ob die noch alle in der Arbeit sind? Ein drittes Mal versuche ich es noch. Wieder. Kein Erfolg. Entmutigt setze ich mich mit Gregor auf die Bordsteinkante, während im selben Moment zwei Häuser weiter eine Frau mittleren Alters aus dem Haus kommt und sich in ihren SUV setzt. Ich springe auf, lasse Gregor hinter mir zurück und laufe auf das Auto zu. „HELP! PLEASE HELP!“ Schreie ich. Die Frau setzt sich blitzschnell in ihren Wagen. Dieser versperrt sich in dem Moment, als sie die Autotür schließt. Ein leichtes „Klick“ ist zu vernehmen. Ich bleibe vor dem Auto stehen und starre durch das verdunkelte Fenster. Ich winke ihr zu. Sie bleibt stehen. Fährt nicht los. Dann startet sie den Motor. Ein lautes „Brumm“ ertönt und ich schreie noch einmal „HELP! PLEASE HELP ME!“

Die Frau erbarmt sich. Dreht den Motor wieder ab. Lässt das Fenster hinunter. Ich starre sie an. Erkläre ihr, wie ich in diese missliche Lage gekommen bin. Dass ich kein Wasser mehr habe und keine Kraft mehr, um noch 10 Meter zu laufen. Dass ich nur in dieses beschissene Hostel möchte – zeige ihr den Punkt auf meiner kleinen blauen Karte.

Autostoppen ist in den USA verboten. Erklärt sie mir. Das hilft mir jetzt auch nicht weiter! „Ich bezahle Sie!“ Versuche ihr zu verstehen zu geben, dass ich keine Obdachlose bin, die sie ausrauben möchte. Sie hat Angst vor mir, das kann ich in ihren Augen sehen. Sieht sie such in meinen Augen, dass ich echt Angst habe, diese Nacht nicht zu überleben?

Sie will meinen Pass sehen. Gut, das kann sie. Gerne. Wenn sie mich danach doch bitte nur zu diesem Hostel bringt. Ich laufe zurück zu Gregor, krame meinen Pass heraus, laufe zurück zum SUV. Geld habe ich zur Sicherheit auch mitgenommen. Die Frau mustert meinen Pass. Dann lässt sie mich einsteigen. Wir fahren ein paar Meter. Sie steigt aus, versucht meinen Rucksack in den Kofferraum zu hieven. Ziemlich schwer, meint sie. Eigentlich hätte sie keine Zeit. Hätte einen wichtigen Termin in der Stadt. Ich versichere ihr, dass ich ihr alles Bargeld geben werde, wenn sie mich nur zum Hostel bringt. Mein Geld will sie aber nicht. Die Fahrt dauert bestimmt 20 Minuten. Das hätte ich zu Fuß nicht mehr geschafft, geschweige denn, hätte ich den Weg bestimmt nicht gefunden.

Ich starre aus dem Fenster. Wir unterhalten uns nicht. Peinliche Stille. Ich versuche mich nicht zu bewegen, damit ich ja nicht das Auto verschmutze. Es ist so sauber, so sauber, wie es nur Nigel-Nagel neue eben Autos sind. Angekommen beim Hostel bleiben wir noch einen kurzen Augenblick sitzen. Sie holt ihre Handtasche vom Rücksitz hervor, kramt kurz darin, reicht mir eine Karte. Ihre Visitenkarte. „My daughter is your age! I would die if I knew that she would be as stupid as you! You better be save girl. Call me, if you need a ride back to town. I’ll go and get you!“

Ich steige aus. Hole Gregor aus dem Kofferraum. Blicke noch einmal durch das verdunkelte Fenster. Winke zum Abschied. Ein leises „Thank you“ kommt mir über die Lippen. Drehe mich um, atme tief ein. Und wieder aus, fange im selben Moment bitterlich zu weinen an.

Wenn meine Mama diese Geschichte hört, wird sie mich nie, NIE NIE NIE NIE NIE wieder verreisen lassen! Nie Nie wieder.